Objektgeschichten
Von Menschen und Dingen
Mit unseren Geschichten möchten wir Sie mit der Museumssammlung bekanntmachen. Kommen Sie mit in unsere vielfältige Welt der Gegenstände, die einen riesigen Wissensspeicher voller Überraschungen darstellt.
Aus ihm schöpfen wir, um die Stadtgeschichte zu erhellen. Ihm sind die Exponate in der neuen Ausstellung zur Herforder Geschichte in der Museumsvilla entnommen. Er ist auch die Quelle, aus der unsere zukünftigen Sonderausstellungen gespeist werden.
Folge 1
Die Wunderkugel des „Wunderheilers“ Bruno Gröning aus Stanniol
Unser Museum wurde 1882 gegründet, ist also 140 Jahre alt. Ihren Ursprung haben die Museen in den noch älteren Wunderkammern der Adelshäuser. Trotz aller Wandlungen im Anspruch an sie als Bildungsorte sind auch heutige Museen in gewisser Weise Wunderkammern geblieben.
Warum also die Reihe mit Geschichten aus dem Museum nicht mit einem besonders wundersamen Stück beginnen? Es wurde einst von dem in der Nachkriegszeit als „Wunderheiler“ berühmt gewordenen Bruno Gröning verteilt. Bei größeren Auftritten warf er solche kleinen Stanniolkugeln mit seinem Blut, Finger- oder Zehennägeln wie kleine Reliquien in die wartende Menge.
Der Andrang um die Auftritte des Heilers sagt viel über die Mentalität der Menschen in dieser Zeit aus: Der Wunsch nach einem „Heilsbringer“, nach dem verlorenen Krieg, und in einer Zeit voller Unsicherheit und untergegangener Gewissheiten war groß. Auch in Herford.
Die Kugel werden Sie in der neuen Dauerausstellung wiederfinden. Auch die 25seitige Broschüre „Das Wunder von Herford“ wird in der Sammlung verwahrt.
Sonja Voss
Folge 2
Ein Herforder Kaufmann verschenkt Nilpferde
Das ehemalige Textilkaufhaus (von Franz) „Siepe“ am Alten Markt versuchte durch kleine Geschenke, Kundschaft an sich zu binden. Der Name des Geschäfts sollte sich dem Beschenkten dauerhaft und positiv besetzt einprägen. Das Bild der auf einer Schaukel schwingenden, luftig bekleideten jungen Frau auf der Rückseite des Taschenspiegels hatte die Aufgabe, der Käuferschaft zusammen mit dem Text einzuflüstern, dass es nur bei Siepe verführerische Strümpfe zu kaufen gäbe. Das Museum erhielt die Werbemittel von einer in den 1960er Jahren geborenen Herforderin.
Sie berichtet: „Solange ich mich erinnern kann, gab es im Haus meiner Eltern diesen kleinen Taschenspiegel und das kleine Nilpferd. Beide mögen wohl aus den Zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts stammen.
Siepe am Markt (später Kox, heute Tscheche) war das Textilwarengeschäft, in dem meine Urgroßmutter Friederike, eine gelernte Näherin, die Stoffe kaufte, aus denen sie unter anderem Kleider schneiderte – auch für ihre Tochter, meine Großtante Luise, und für ihre Schwiegertochter Else. Deren Tochter erzählte mir, dass Friederike die Kleider für Tochter und Schwiegertochter aus demselben Stoff fertigte, so dass Luise und Else an Sonntagen bei dem Familien-Spaziergang in Bad Salzuflen im Partnerlook auftreten mussten, was Schwiegertochter Else unangenehm berührte.“
Das Museum besitzt damit nun facettenreiche Zeugen früherer Zeiten: Sie sind persönliche Erinnerungsstücke, die den Blick auf weibliche Berufstätigkeit und bürgerliche Freizeitbeschäftigung freigeben. Zugleich sind sie Relikt aus der Zeit des Herforder Einzelhandels, als es noch inhabergeführte Geschäfte und kaum Ketten gab. Die Spiegelwerbung, die von einer Leipziger Firma gedruckt ist, steht für Werbegrafik der Zwanziger Jahre.
Sonja Langkafel
Folge 3
Die Frau mit den vielen Orden
Prächtige Orden auf silberweißem Kleid, über dem rechten Arm weißer Hermelin und Gesichtszüge, die eher gebieterisch denn würdevoll sind, zeichnen das Gemälde aus. Kein Zweifel hier schaut uns eindeutig eine adlige Dame, die es gewohnt ist, zu herrschen, an. Lange wurde sie unzutreffend als Äbtissin Charlotte Sophie, Herzogin von Livland, Kurland und Semgallen im Museum präsentiert. Die Orden, die ihre Brust zieren, und der mit Brillanten dekorierte am Schulterband halfen vor einigen Jahren, die tatsächliche Identität der Dame zu lüften.
Das Kreuz mit Medaillon, das an kleiner Schleife hängt, und der links im Hintergrund zu sehende Krummstab bestätigen zwar die Bezeichnung der Dargestellten als Äbtissin des Herforder Stifts. Der üppige Orden am Schulterband ließ allerdings bei dem Historiker Thorsten Heese Zweifel daran aufkommen, dass die „Kurländerin“ porträtiert ist. Das Ehrenzeichen führte ihn viel mehr auf die Spur einer anderen Äbtissin. Dem Adelsgeschlecht von Schleswig-Holstein-Gottorf entstammte Zar Peter III. von Russland, der Ehemann der späteren Zarin Katharina der Großen. Die Herforder Äbtissin Hedwig Sophie Auguste von Holstein-Gottorf war deren Tante mütterlicherseits. Keine andere Herforder Äbtissin stand der russischen Zarenfamilie so nah und kam damit als Empfängerin des Ordens in Frage. Ein Vergleich mit anderen Bildnissen der Schleswig-Gottorferin bestätigte dann die Vermutung, dass es sich bei der Trägerin des Katharinenordens nicht um Charlotte Sophie, sondern um Hedwig Sophie Auguste handelt.
Das Gemälde wird in der zukünftigen Dauerausstellung zu bewundern und mehr zum Leben der Porträtierten zu erfahren sein.
Sonja Langkafel
Folge 4
Der schiefe Turm von Herford
Den Blick aus der Komthurstraße auf die Neustädter Kirche St. Johannis zeigt den aus dem Lot geratenen „schiefen Turm von Herford“ im Jahr 1880. Maler des unsignierten Bildes ist der in Herford geborene August Klein. Als er sein Werk 1886 dem Städtischen Museum schenkte war er in Düsseldorf an der Kunstakademie, wahrscheinlich als Student. Das Museum nahm es laut Eingangsbuch „als Andenken an dies historische Denkmal“ in die Sammlung auf.
Der auf dem Bild im Zentrum stehende Turm ragte 85 Meter in die Höhe. Er ersetzte den 1638 während des großen Stadtbrandes zerstörten Turm. Die Bodenbeschaffenheit in der Neustadt ist sumpfiger Natur; deswegen gründete man den Turm auf Eichenpfählen. Trotzdem neigte er sich im Laufe der Jahrhunderte, so dass der Turmhelm 1885 wegen Einsturzgefahr abgetragen werden musste. Er wurde durch einen 5 Meter niedrigeren ersetzt, der aber nur 10 Jahre Bestand hatte. Der Bau der städtischen Kanalisation ließ den Grundwasserspiegel sinken. Die Gründung aus Eichenpfählen fiel trocken und zersetzte sich. Der Turm musste nun vollkommen abgetragen werden und auf einem Beton-Fundament neu errichtet werden. Mit 71 Metern ist der 1910 fertiggestellte Turm immer noch der höchste Kirchturm Herfords.
Links neben der Kirche ist das Eckhaus Höckerstraße/Neuer Markt zu sehen. Dort befand sich das erste Geschäftslokal der im Januar 1847 eröffneten Kreissparkasse. Heute steht dort ein Wohn- und Geschäftshaus aus der Zeit um 1900.
Sonja Langkafel
Folge 5
Ein Orden für die Herforder Damenstifte
Johanna Charlotte von Brandenburg-Schwedt begründet den Orden 1729. Er wird den Stiftsdamen bei der Neuaufnahme verliehen und ist zugleich Mitgliedsabzeichen und Rangabzeichen. Er repräsentiert die Zugehörigkeit zum exklusiven Herforder Stift und soll identitätsstiftend auf die Angehörigen des Konventes wirken. Gleichzeitig dienen kleine Details in der Trageweise dazu, den Rangunterschied zwischen den Damen des Hochstifts in der Stadt und dem Niederstift auf dem Berge zu zeigen. Das breite rote Schulterband mit silbernem Streifen ist ebenso wie der Bruststern des Ordens den hochadligen Damen vorbehalten. Die Damen aus dem niederen Adel erhalten nur ein kleineres Kreuz, das sie an einer Schleife aus schmalem Band an der Brust tragen.
Die Schauseite zeigt die Gottesmutter Maria mit dem Jesuskind und der Umschrift: „MEMISSE ET IMITARI“ (sich erinnern und nachahmen). Der Text, der mittig auf der Rückseite steht, erinnert an die Ordensstifterin Johanna Charlotte. Die Umschrift und die ineinander verschlungenen Initialen verweisen auf ihre Enkelin, die letzte Herforder Äbtissin F(riederike) C(harlotte) L(eopoldine) L(ouise) von Brandenburg-Schwedt, die das Stift 1765 bis 1806 regierte.
Sonja Langkafel
Folge 6
Souvenirs aus Herford
Über die Jahre konnten für das Museum auf Flohmärkten und im Antiquitätenhandel einige Herforder Souvenirs erworben werden.
Das Andenkenglas links ist mit einem Abziehbild des Kriegerdenkmals für die Gefallenen der Einigungskriege 1864, 1866 und 1870/71 aus der Stadt und dem Amt Herford verziert. 1879 enthüllt, stand das Denkmal bis 1965 auf dem Alten Markt und wurde von dort auf den Friedhof am Eisgraben (Hermannstraße) versetzt. Als Vorlage für die farbige grafische Darstellung diente eine Fotografie, die auch auf einigen Ansichtskarten aus der Zeit um 1900 als Bildsouvenir für Herford warb.
Das zweite Andenkenglas zeigt den Bahnhof mit dem 1902 enthüllten Kurfürstendenkmal sowie das 1899 eingeweihte Wittekind-Denkmal und ebenfalls das Kriegerdenkmal auf dem Alten Markt.
Die beiden Aufkleber werben mit dem Ende der 1920er Jahre gebildeten Slogan „Herford – Die Stadt der Brücken und Gärten“. Der rechteckige Aufkleber setzt zusätzlich auf Werbemarken, die nach 1945 neu geprägt wurden. „Heilgarten Deutschlands“ wurde für die Region am Teutoburger Wald mit seinen Heilbädern geschaffen. In den Zeiten zunehmender Automobilität nach dem Zweiten Weltkrieg war der Hinweis auf die verkehrsgünstige Lage der Stadt an der BAB 2 zweifelsohne werbewirksam. Die BAB wurde als Reichsautobahn von 1936 bis 1939 abschnittweise für den Verkehr freigegeben. Der Abschnitt Herford – Bad Salzuflen war im Dezember 1939 fertiggestellt.
Sonja Langkafel
Folge 7
Kinderwagen „Herfordia“
Der Kinderwagen konnte durch das kleine ovale rote Schildchen auf der Griffseite als Produkt der Kinderwagen-Fabrik „Carl Bock & Co“ identifiziert werden. Es trägt den Markennamen „Herfordia“. Ein Blick in den Firmen-Katalog der Firma von 1930 weist ihn als Modell Nr. 361 aus. Er wurde für die Kinder einer Familie im Sauerland gekauft. Der Wagenkorb ist mit Lederriemen federnd am Raduntergestell befestigt; die Aufhängung ist allerdings defekt.
Die in Bielefeld gegründete Firma Struwe & Bock richtete um 1890 in der Eimterstraße 4 einen Zweigbetrieb ein und beschäftigte an die 100 Strafgefangene im benachbarten Herforder Zellengefängnis mit Korbmacherarbeiten. 1921 nahm die inzwischen als Carl Bock & Co. firmierende Fabrik die Produktion von Kinderwagen auf. Der Firmenkatalog zeigt die 1930 angebotene Produktpalette im Segment Kinderwagen. In der Firma wurden aber auch weiterhin Korbmöbel – allerdings nicht mehr von Häftlingen – gefertigt. Ab 1933 wurden Küchen und Schlafzimmermöbel hergestellt.
Sonja Langkafel
Folge 8
Dreifacher Biergenuss aus Herford
Die drei Bügelflaschen stammen aus Herforder Brauereien: F. Engeling, Wittekind-Brauerei, Brauerei Felsenkeller. Die ersten beiden Brauereien mussten wegen der übermächtigen Konkurrenz der Großbrauereien vor dem Ersten Weltkrieg aufgeben. Die Brauerei Felsenkeller lieferte bis 1927 ausschließlich Fassbier. In der Flasche der Brauerei Felsenkeller mit dem Aufdruck „Haustrunk-Abzug“ aus den 1950er Jahren bekamen die Arbeiter der Brauerei zusätzlich zum Geldlohn Bier als Sachleistung (Naturallohn).
Die seit 1878 in Schweicheln bei Herford betriebene Brauerei „Gebr. Ueckermann, Brauerei zum Felsenkeller“ entwickelte sich im Kaiserreich (1871-1918) zur größten Privat-Brauerei Westfalens. Heute heißt sie Herforder Brauerei GmbH und ist seit 2007 als weiterhin bestehendes Familienunternehmen Teil der Warsteiner Gruppe.
Die anderen beiden Brauereien in der Stadt waren wesentlich kleiner als die der Ueckermanns. Am längsten hielt sich von diesen die in den 1880er Jahren von August Wefing gegründete Brauerei an der Jahnstraße. Sie braute seit etwa 1905 mit neuen Besitzern unter dem Namen „Herforder Wittekind-Brauerei GmbH“.
Die Brauereien gehörten zu den in Herford bis etwa 1960 noch sehr zahlreich vertretenen Firmen der Genuss- und Nahrungsmittelindustrie. Sie waren typisch für die auf langlebige Gebrauchsgüter wie Möbel, Bekleidung und Wäsche sowie kurzlebige Verbrauchsgüter wie Schokolade, Margarine und Getränke spezialisierte Herforder Industrie. Diese im 19. Jahrhundert angelegte Ausrichtung der Herforder Industrie auf Konsumgüter hat sich als sehr langlebig erwiesen. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewann die Investitionsgüterindustrie mit Maschinenbaufirmen, kunststoffverarbeitenden Betrieben, der Elektrotechnik und den Zulieferern der Autoindustrie an zunehmender Bedeutung.
Sonja Langkafel
Folge 9
Theater der Welt aus Herford
Zwei exotisch gekleidete Frauen tragen Tongefäße auf dem Kopf. Eine Kleinfamilie aus dem 19. Jahrhundert macht einen Sonntagsspaziergang. Diese auf Laufwagen montierten Figuren gehören zum Mechanischen Theater von Johann Heinrich Pottharst. Es war in den 1850er und 1860er Jahren ein Anziehungspunkt auf Jahrmärkten.
Die Familie Pottharst zogen nicht immer als Schausteller von Stadt zu Stadt. Ursprünglich verdiente sie ihren Lebensunterhalt mit ihrer Nagelschmiede. Doch geschmiedete Nägel wurden im 19. Jahrhundert mehr und mehr durch maschinell hergestellte verdrängt. Als wurde die Schmiede ver- und eine Schießbude gekauft.
Der 1829 in Detmold geborene Johann Heinrich Pottharts, der ursprünglich in der elterlichen Nagelschmiede tätig gewesen war und nun bei den Eltern in der Schießbude arbeitete, lernte auf einem Jahrmarkt ein mechanisches Theater aus Frankreich kennen. Er war fasziniert und beschloss, es gemeinsam mit seinem Bruder Hermann nachzubauen. Für das eigene „Theatrum mundi“ (Theater der Welt) genannte Figurentheater stellte vor allem der Mechaniker und Maler Hermann Pottharst rund 2000 bemalte Flachfiguren in Handarbeit her, so auch die hier abgebildeten.
Den Eindruck, den das mechanische Theater auf sein Publikum machte, ist in einer Ausgabe der Familienzeitschrift „Die Gartenlaube“ beschrieben: „Indem öffnete sich heftig knarrend ein zweiflügeliges Schiebetor und gab den Blick auf eine kleine Bühne frei. ‚Konstantinopel, die Hauptstadt des osmanischen Reiches‘, sprach eine Stimme aus der Finsternis; im hellen Sonnenlicht aber vor uns lag die Stadt, von Kuppeln und Minaretten überragt, während im Vordergrund wellenartig ausgesägte und bemalte Holzbretter hintereinander auf und nieder tauchten, … schon kam in atemberaubendem Tanz zwischen Welle zwei und drei eine stattlicher Dreimaster in Sicht, … Und siehe, es wurde klar, daß wir fuhren, denn sanft entrollte Konstantinopel nach rechts hin, die weil sich von links (kling, kling und Stimme aus der Finsternis) Alexandria … darbot. So rollten die Memnonssäulen vorüber, Pyramiden und Sphinx kamen und entschwanden, und schließlich lag Kairo vor uns…“. Die Beschreibung verdeutlicht, warum das mechanische Theater als ein Vorläufer des Kinos gilt.
Sonja Langkafel
Folge 10
Das Schaustellerehepaar Pottharst im Porträt
Selbstbewusst ließen sich Johann Heinrich Pottharst und Caroline Kesting in der Tradition des Bürgerporträts malen. Die Kleidung legt eine Datierung auf die Zeit um 1860 nahe. So könnten die Bilder kurz nach ihrer Heirat (1859) in Auftrag gegeben worden sein.
Caroline Pottharst, geb. Kesting aus Detmold, trägt ein dunkelblaues, leicht changierendes Kleid, vermutlich ein Tageskleid. Diese Kleider waren immer hochgeschlossen und wurden von einem zierlichen Kragen aus Spitzen oder auch weißen Stickereien abgeschlossen. Derartige Luxuswaren waren Dank der ständig fortentwickelten maschinellen Herstellungsmöglichkeiten auch für weniger wohlhabende Schichten erschwinglich geworden. Auf dem Kopf trägt C.P. eine Weiterentwicklung des ursprünglichen „Kiepenhutes“, der anders als die Haube auf dem Porträt zusätzlich einen vorstehenden, das Gesichtsfeld einengenden Schirm besaß. Die Bändchen sind nicht mehr zum Binden, sondern haben eine rein dekorative Funktion. Die Haube wird wohl von einer nicht sichtbaren Hutnadel gehalten; Hutnadeln gab es seit 1853. Als Schmuck trägt C.P. eine Brosche, die dem Zeitgeschmack um 1860 entsprechend als Schleife geformt ist.
Die Kleidung von J.H.P. stammt wie die seiner Ehefrau aus der Zeit um 1860. Wie der modebewusste Herr damals hat er für seinen Anzug dunkle Farben gewählt und trägt eine damals übliche einfache Schleife, einen sogenannten Papillon (Querbinder). Die Haare sind wie bei seiner Frau in der Mitte gescheitelt. Um die Frisur zu wahren, pomadisierte oder ölte der Mann in dieser Zeit seine Haare. Das Gesicht ist von einer modischen „Fischerkrause“ gerahmt; die vorher üblichen Koteletten waren von der Fischerkrause abgelöst worden.
Der in Detmold geborene Johann Heinrich Pottharst war ursprünglich in der elterlichen Nagelschmiede tätig. Da geschmiedete Nägel während der Industriellen Revolution durch maschinell hergestellte verdrängt wurden, wechselte er ins Schaustellergewerbe. Zusammen mit seinem Bruder Hermann betrieb er ein mechanisches Figurentheater, „Theatrum mundi“ (Theater der Welt) genannt. 1874 kaufte er das Haus Komthurstraße 22 in Herford; Mitte der 1880er verkaufte er das Theater. Er bekleidete neben anderen Ehrenämtern das Amt eines Presbyters.
Die Fassung der Gemälderahmen besteht aus silbernen Blattmetallauflagen mit Goldlack-Überzug. Die Gemälde waren – das lässt das Fehlen der Fassung an den Rahmenflanken vermuten – höchstwahrscheinlich in eine Wandvertäfelung eingebaut. 2009 wurden sie restauriert.
Sonja Langkafel
Folge 11
Erinnerungsmünze zur 1100-Jahrfeier der Stadt Herford 1923
Indem er sich ein Beispiel an der Stadt Höxter und der Abtei Corvey nahm, regte der Herforder Verein für Heimatkunde 1922 an, ebenfalls eine 1100-Jahrfeier auszurichten. Denn die Abtei Herford sei, so seine Begründung, in demselben Jahr wie Corvey, nämlich 822, gegründet worden, und so wie aus Corvey Höxter hervorging, beförderte die Abtei Herford die Entwicklung der Stadt Herford. Die Feier fand dann aber doch erst 1923 statt. Zur Erinnerung ließ der Heimatverein die abgebildete Medaille prägen. Entworfen wurde sie von Franz Guntermann, Professor an der Handwerker- und Kunstgewerbeschule in Bielefeld nach der Gründungslegende, in der eine Kuh mit brennenden Kerzen auf den Hörnern für Waltger den Ort für die Gründung des Klosters auswählte.
Der Studienrat Dr. Richard Kohl beschrieb die im expressionistischen Stil gestaltete „Erinnerungsmünze“ im „Herforder Heimatblatt“ vom Oktober 1923. Sichtlich war er darum bemüht, die sich dem flüchtigen Blick nur schwer erschließende Darstellung für das Publikum nachvollziehbar zu machen und für die künstlerische Interpretation Verständnis zu wecken:
„Sieht gar nicht aus wie ein Ding der guten alten Zeit. Aber – das will sie auch nicht sein.
Liefen denn um 800 die Besten der Zeit nackt herum? So dürr war also unser Stadtgründer? Und man braucht wirklich nicht Oekonom (Bauer – S.L.) zu sein, um zu sehen, daß die Kuh etwas unbequem liegt. Ja, vielleicht freut sich mancher in aller Harmlosigkeit schon, wenn er herausbekommen hat, daß die Masse rechts zu dem Kuhkopf gehört.
Hat denn der Künstler das nicht selbst gemerkt? Hat er nicht zeichnen können? Nun, er hat mindestens ein halbes Dutzend Entwürfe gemacht, sogar noch, als eigentlich schon alles festgelegt war, und wer so in ernstem Wollen mit sich ringt, der steht über dem Handwerk. Das Stoffliche verschwindet, der Gedanke triumphiert. Seht die Medaille nur in Ruhe an, dann springt plötzlich die Idee heraus, sie stößt sich von der Fläche ab, gerade auf uns zu: Die Urgebärde des Staunens vor dem nie geschauten Wunder. Brennende Lichter auf den Hörnern einer Kuh! Das ist das Überirdische, ist Mittelpunkt. Und staunend steht der Mensch da, noch verrät uns nichts die Gründung, aber gebietend legt die Kuh den Kopf auf die Stelle, wo Herford stehen soll, wo die beiden Flüsse sich vereinigen.“
Sonja Langkafel